Erhebende Klänge |
Magnificat anima mea Dominum – Meine Seele erhebt den Herrn. Mit diesen Worten beginnt der Lobgesang der Maria im Lukasevangelium. Es ist ein kraftvoller, aufmüpfiger und zugleich feierlich prachtvoller Text. Unter den unzähligen Vertonungen des „Magnificat“ gehört diejenige Johann Sebastian Bachs zu den herausragendsten. Sie nimmt im auch Gesamtwerk des grossen deutschen Komponisten einen besonderen Platz ein. Zum einen vertonte der Lutheraner nur wenige Texte im lateinischen Original und zum anderen griff Bach für sein „Magnificat“ auf den selten verwendeten fünfstimmigen Vokalsatz zurück. So rückt die Komposition in die Nähe eines anderen Bach’schen Grosswerks, der h-Moll-Messe. Eine erste Fassung in Es-Dur komponierte Bach für das Weihnachtsfest 1723. Für die Aufführung im weihnachtlichen Vespergottesdienst ergänzte Bach das Magnificat um vier Einlagesätze, die auf den Kontext des Festes zugeschnitten sind, wie etwa eine Bearbeitung des Lieds „Vom Himmel hoch“. Später transponierte er das Werk nach D-Dur, strich die spezifischen Einlagesätze und erweiterte die Besetzung. So kommt das „Magnificat“ heute als feierliche Prachtmusik daher. Die grosse Orchesterbesetzung mit drei Trompeten und Pauken entfaltet bereits im Eingangsspiel des eröffnenden Chors eine barocke Grandezza, wie man sie vielleicht eher aus Werken Georg Friedrich Händels kennt. In den folgenden zwölf Sätzen, in denen Bach die zehn Strophen des Hymnus in der Form einer Kantate als Folge von Arien, Duetten und Chören disponiert, zieht er alle vokalen und instrumentalen Register. Die Sopran-Arie „Qui a respexit“ mündet in einen Chor, der die Worte „omnes generationes“ in einem abenteuerlich-dichten fugierten Vokalsatz umsetzt. Das Duett „Et misericordia“ gemahnt in seinem wiegenden 12/8-Rhythmus an die weihnachtliche Pastoralmusik, während der „Fecit potentiam“-Chor die besungene Kraft in einem hochvirtuosen Thema umsetzt. Die kühnen Stimmführungen und harmonischen Wendungen setzen so den Text kongenial um und offenbaren zugleich einen immensen Farbenreichtum, der durch die verschiedenen instrumentalen Zusammensetzungen in seiner Pracht noch gesteigert wird. |
Der estnische Komponist Arvo Pärt wählt für seine Magnificat-Vertonung einen gänzlich anderen Weg. Seine Komposition aus dem Jahre 1989 betont den kontemplativen, innerlichen Charakter des Hymnus. In grosser Ruhe und Reduktion führt Pärt das „Magnificat“ in kleiner besetzten Versen und Tutti-Stellen durch. In diesem Wechselspiel kreisen die Stimmen um einen beinahe stets beibehaltenen Zentralton und verleihen der Komposition einen Hauch von Ewigkeit, von einem zeitlosen Schweben, und verweisen zugleich auf die älteste Kunstmusik-Tradition Europas, den gregorianischen Choral. |
Ergänzt wird das Programm durch Bachs 4. Orchestersuite in D-Dur BWV 1069. Sie ist die kleine Schwester der wesentlich bekannteren dritten Suite, deren langsamer Satz, die Air, zu den Evergreens der klassischen Musik gehört. Entstanden ist sie höchst wahrscheinlich in der Zeit als Bach am Hofe in Köthen wirkte – es ist eine prunkvolle Hofmusik, deren Ouvertüre nach dem französischen Vorbild mit einem langsamen gravitätischen Teil mit markanten Punktierungen in den Trompeten beginnt, der dann in einen bewegteren Satz übergeht. Besonders reizvoll ist das Wechselspiel der Streicher mit den drei Oboen. Danach folgen mit einer Bourrée, einer Gavotte und zwei Menuetten eine Reihe von eleganten Tanzsätzen, bevor das Werk festlich mit einer Réjouissance endet. Auch hier verschränken sich Prunk und Kunst in Meisterschaft und schaffen einen von erhebenden Klängen erfüllten Raum. |
Moritz Achermann |